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•mil den Zügeln einen Anzug durch das Maul macht, der in den Hinterbeinen
endet. Es ist sehr schön, in der Theorie zu sagen, die Reiterhand diirfe
nicht nach rückwarts wirken. In der Praxis musz sie es in bestimmten Fallen
doch tun.
Die Probleme der Reitkunst sind schwierig. Sie werden sich, bedingt
durch die Verschiedenheiten der charakteristischen Merkmale der Völker und
ihrer Kultur, niemals zu einem Einheitsstil ausgleichen lassen.
Ich glaube, ein groser Teil des Reizes des internationalen Reitsports liegt in
der Verschiedenheit der Auffasung und der Systeme, mit denen die Reiter der
Verschiedene Lander gewinnen wollen. Betonen wir noch, einmal, dasz nie
mand bestritten hat, die Italienerseien die Meister des Springsports und dasz die
grosze Fortschritte in den Leistungen ihnen zu verdanken sind, getrieben von
den Anstrengungen der andern, es ihnen gleichzutun.
Sollten Dodi und ich uns über gewisse Unterschiede nicht einigen können
und stehen wir an einer Linie, die der einzelne nicht überschreiten kann und will,
so geben wir uns über diese Linie hinweg doch als Freunde die Hande.
G. Rau."
Auf diese Ausführungen antwortet Oberstleutnant Dodi im „Cavallo Italiano"
wie folgt: „De sympathische Artikel stammt aus der Feder eines Mannes, bei
dem wir gleichzeitig die gründliche Vorbereitung, die grosze und vielseitige
Arbeitskraft, wie auch die Beobachtungsgabe bewundern, die er in dienst des
Pferdesports gestellt hat, in welchem er auszerdem als wahrer Sportsmann und
glühender Patriot auch ein Mittel gesehen hat, die Fahne seines Vaterlandes
stets höher zu heben, indem er die landlichen Reitervereine gründete, die bereit
sind, überall hinzureiten, wenn das Vaterland sie rufen wird.
Wir sind nicht voreingenommen gegen schulmaszige Dressur. Wir erklaren,
dasz, wenn jemand bei uns die schulmaszige Dressur vorführte, wir immer die
ersten gewesen sind, diese schulmaszige Dressur zu bewundern. Aus diesem
gründe versaumen wir auch niemals, einen Zirkus zu besuchen, wenn dieser
einen Schulreiter hat, um zu ergründen, was das richtige ist, wenn diese Schul-
reiter Kompromisse machen.
Often gestanden, beneiden wir ein Land wie Deutschland, wo die reiterliche
Passion so verbreitet ist, dasz sie leidenschaftliche und tüchtige Vertreter
jeder Art der Reiterei erzeugt, vom Jagdreiten und Turnierspringen bis zus
Hohen Schule.
Wir haben die teste Ueberzeugung, dasz man in der Hohen Schule, selbst
wenn sie rationed und nur mit natürlichen Hilfen betrieben wird, mit unserem
System allein nicht auskommen kann.
Für alles iibrige aberMilitarreiterei von heute, Jagd, Turnier, auch Rennen,
reicht die italienische Methode vollkommen aus, denn sie verschafft willige,
gehorsame, dem Reiterwillen schnell folgende Pferde, wie nur irgendeine
Methode. Und der beste Beweis wird gerade auf den Turnieren erbracht, wo
nicht der einfache Springer siegt, sondern das besser ausgebildete Pferd, wel
ches in der Lage ist, im besseren Tempo zu galoppieren und zu wenden und
dabei im Gleichgewicht bleibt und stets fahig, in jeder Beziehung alle seine
Krafte herzugeben.
Dieser ausbildung verdanken es unsere Pferde, wenn sie ihr Blut und ihre
oft recht bescheidenen Mittel im höchsten Grade ausnützen können und dabei
die Leistungen erreichen und iibertreffen von so viel machtigeren und so gut
gebauten Pferden wie jene der deutschen Reiter.
Aus diesem Umstand mochten wir Rau's Aufmerksamkeit lenken, da wir
überzeugt sind, dasz er dann sehr schnell begreifen wurde, dasz die italienische
Reitkunst wie jede andere viele Stufen aufweist, von der rudimentaren der
Rekrutenausbildung bis zur allerfeinsten und wirkiich vollendeten unserer guten
Reiter. Ich glaube, dasz dann die gegensatzlichen Meinungen in ein Nichts
zerrinnen würden.